Von DONNERSTAG, 24-11-2005, bis MITTWOCH, 30-11-2005
„Ich liebe die Stärke, die mir die Kettensäge verleiht“

Sie führte knapp 90 Menschen fünf Tage durch die Hölle, kämpfte gegen Panik und Todesangst. Am Ende entkam sie nur knapp dem Tod und beschloss von da an, ein neues Leben zu beginnen. Gabriele von Lutzau (51), die ehemalige Stewardess der 1977 auf dem Weg von Mallorca nach Frankfurt von Terroristen entführten „Landshut“ lebt heute als international anerkannte Künstlerin im Odenwald. Dort stellt die verheiratete Mutter von zwei Kindern unter anderem hölzerne „Wächter“ her.

Von Andreas John 

Sie sind nach dem Geiseldrama zum ,Engel von Mogadischu´ getauft worden. Warum?
Den Titel hat sich die „Bild“-Zeitung ausgedacht. Der Name klebt immer noch. Ich finde, ich habe damals nur meinen Job ordentlich gemacht – und das so wie mein Charakter es mir vorgab: Mit Herz und Courage. 

Braucht die Welt eigentlich Helden wie Sie? 
Zivilcourage braucht die Welt, keine Helden. Helden sind pompös und leben nicht lange. Nicht wegschauen, sondern einschreiten, zupacken, helfen. Wenn ich von unterlassener Hilfeleistung lese, werde ich unglaublich wütend. Ich verachte jeden zutiefst, der einem Menschen, der um Hilfe schreit, nicht hilft. Oft reicht es, über Handy die Polizei zu rufen und Passanten anzusprechen, sich auch einzumischen. 

Mischen Sie sich noch oft ein? 
Manchmal geht mein Temperament mit mir durch und ich wäge gar nichts ab. Ich habe einmal einen Mann, der meine Mutter in Frankfurt auf der Goethestrasse unglaublich beleidigt hat, so angebrüllt, dass die Scheiben klirrten, nachdem ich sie blitzschnell hinter mich geschoben hatte. Ich habe ihn auch mit einem zusammengerollten Regenschirm bedroht. Wenn er nicht weggerannt wäre, ich schwöre, ich hätte ihn verhauen. Und es hätte mir Spaß gemacht.

Wie würden Sie heute den Begriff Terrorismus definieren? 
Jeder, der einem anderen Menschen willentlich Leid, Schmerz und/oder den Tod zufügt, ist zutiefst böse. Das sind nicht nur christliche Leitwerte. Auch im Islam steht es geschrieben. Deshalb ist der heutige Terrorismus im Namen des Islam eine Pervertierung der eigentlichen Religion. 

Wann und warum haben Sie sich entschlossen, ihren Job als Stewardess an den Nagel zu hängen? 
Ich bin nach dem Geiseldrama nie wieder als Stewardess geflogen. Erstens war ich traumatisiert. Die innere Heilung dauerte Jahre. Ich wusste, dass nichts wieder so sein wird wie vorher. Diese Narben machen sich von Zeit von Zeit bemerkbar. Außerdem wurde ich auch schwanger. 

Sind Sie von der Lufthansa für Ihre Verdienste jemals ausgezeichnet worden? 
Man hat uns einen Freiflug geschenkt. Und ich hätte – wenn ich weiter im Unternehmen geblieben wäre – mir meine Arbeitsstelle aussuchen dürfen. 

Wer hat Ihnen geholfen, Ihr Leben umzukrempeln? 
Meine Kinder, mein Mann, meine Kunst. 

Wie fanden Sie zur Kunst? 
Wie die meisten frustrierten Hausfrauen und Mütter machte ich einen Töpferkurs, als mein Sohn zweieinhalb Jahre alt war. Ich bastelte aber nie einen Topf, sondern entdeckte die dritte Dimension und das plastische Gestalten. Ich wusste allerdings gleich, dass Ton kein Material für mich ist. Zu beliebig kann man ansetzen. Es ist korrumpierbar. Also Holz. Holz ist konsequent: was weg ist, ist weg. Es ist lebendig, speichert die Sonnenenergie, zieht das Leben auf die Erde. Holz ist die perfekte Verbindung zwischen Himmel und Erde. 

Sie arbeiten mit Kettensägen. Das klingt brutal. 
Ich liebe die Stärke, die mir die Kettensäge verleiht. Mit ihr kann ich schnell und präzise das erreichen, was ich will. Ich habe ein zertrümmertes Handgelenk, deshalb brauche ich technische Hilfe. Zuerst hatte ich panische Angst vor dieser Höllenmaschine und auch heute noch traue ich ihr nicht. Ich beherrsche sie. 

Ist die Kunst für Sie eine Art Vergangenheitsbewältigung? 
Heute hat sich meine Kunst völlig verselbstständigt. Sie ist keine Therapie mehr, doch die Wurzeln der einzelnen Werkgruppen sind sicher in meiner Vergangenheit zu finden. Warum mache ich wohl ,Wächter´ Viele Künstler verarbeiten ihre Erlebnisse in der Kunst. Ich würde allerdings niemals das Böse abbilden. Ich setze ihm vielmehr Stärke und Schutz entgegen. Wächter sind Schutzsymbole. Meine abstrakten Lebenszeichen sind Widergänger und die Auferstehung im trotzigen Widerstand gegen den Tod. 

Wie stellen Sie Ihre ,Wächter´ her? 
Kettensäge und Feuer sind meine einzigen Werkzeuge. Das Holz hole ich oft vom Friedhof und reinige es auch spirituell durch das Feuer. Die Asche wird abgebürstet, fällt zur Erde, Rauch steigt auf zum Himmel. Himmel und Erde sind versöhnt. Die dünnen Beinchen, die kleinen Federn, die Hörnchen und Auswüchse mache ich alle nur mit der Kettensäge. Danach werden sie geflämmt und gebürstet. Dann können sie für ihre neuen Besitzer arbeiten. Sie sollen ja nicht nur herumstehen, sondern aufpassen … 

An welchen Projekten arbeiten Sie gerade? 
Meine Dauerwerkgruppen sind ,Wächter´ und ,Lebenszeichen´. Momentan mache ich schwerpunktmäßig Fiederungen. Ich nehme die schlimmsten Verwachsungen und Verletzungen in gefällten Baumen und mache sie dadurch, dass ich ihnen Federn wachsen lasse, leicht. Frei. 

Was ist für Sie persönlich wichtig? 
Die Kunst, die Familie, Spaß zu haben mit Freunden. Ich gehe tanzen, feiere Partys, besuche Ausstellungen, schaue mir neue Filme an und gehe auf Rockkonzerte. Stillstand ist Tod. Und der Tag, an dem ich aufhöre, neugierig zu sein, ist der Tag, an dem ich alt bin. Zu alt. 

Was verbinden Sie noch mit dem Namen Mallorca? 
Eine Insel der Gegensätze – von ,Ballermann´ bis Luxusfinca. Allerding kenne ich sie nur wenig. Palma gefällt mir. Bin allerdings kein Typ für den Badeurlaub. Ich will Abenteuer erleben, rumfahren, Land und Leute kennenlernen. 

Sie haben bereits in New York und Shanghai ausgestellt. Fehlt eigentlich nur noch Palma … 
Wenn es eine gute Galerie ist, und der Transport geregelt – gerne! 

Verschiedene Arbeiten von Gabriele von Lutzau sind derzeit in den Räumlichkeiten der: 
Frankfurter Immobilienfirma Rosenmanagement, Gutleutstraße 85/ Ecke Wiesenhüttenplatz ausgestellt.

Weitere Informationen über die Künstlerin und Ausstellungshinweise finden Sie auf ihrer Homepage www.lutzau.de.