Überleben und Leben
Ex-Stewardess von Lutzau
Ihr Werkzeug sind Kettensäge und Flammenwerfer, ihre Skulpturen bis zu drei Meter groß. Die Botschaft ist immer die eine: Überleben und Leben. Die Bildhauerin wirkt wie eine Mischung aus den Schauspielerinnen Bette Midler und Sabine Postel. Sie sprudelt vor Energie, ist warmherzig, selbstironisch und zugleich verrät ihre Kunst, wie zornig und trotzig sie sein kann. Sie hat ein Heer von „Falken“, „Tauben“, „Wächterinnen“ erschaffen. Sie alle sollen schützen – vor den Schockwellen der Vergangenheit der Gabriele von Lutzau, geborene Dillmann, 1977 Stewardess an Bord der von Terroristen entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“.
23 Jahre war sie alt, als sie ein Opfer ebenso junger Attentäter wurde. Die vier Palästinenser ließen während der fünftägigen Entführung von Palma de Mallorca bis Mogadischu keinen Zweifel daran, dass sie Crew und Passagiere ermorden würden, wenn Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) nicht in Deutschland inhaftierte Gründungsmitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) austauschen würde. Zum Beweis dieser Gnadenlosigkeit erschoss der Anführer den Flugkapitän Jürgen Schumann.
Auf Tränen stand die Todesstrafe.
Die junge Stewardess wurde durch ihren Mut in diesem „Deutschen Herbst“ vor 30 Jahren zur Person der Zeitgeschichte: Sie tröstete verzweifelte Passagiere, übersetzte die Anweisungen der Terroristen, forderte die Bundesregierung in einem dramatischen persönlichen Appell über Funk zur Rettung der Geiseln auf und weinte um Schumann, obwohl sein Mörder auf Tränen die Todesstrafe verhängt hatte. Heute sagt sie: „Seitdem lebe ich ein geschenktes Leben.“ Ein „pralles Leben“, betont sie. Jeden Tag genieße sie aufs Neue. Mit ihrer Bildhauerei schultert sie, wie sie es nennt, ihr „Kampfgepäck“ – eine Last, aufgeladen in fünf Tagen zwischen Leben und Tod.
Eins will sie nie wieder sein: Opfer. Es gebe „Ex-Täter“, wenn sie ihre Strafe abgesessen oder sich losgesagt hätten vom Terror. Es gebe aber keine „Ex-Opfer“. „Die Opfer sind tot oder bleiben ihr ganzes Leben in der Rolle, die die Täter ihnen aufgezwungen haben.“ Von Lutzau wehrt sich: „Ich war ein Opfer, ich bin es nicht mehr. Ich bin glücklich und es gibt für mich ein Happy End.“
Die verletzte Stewardess und Co-Pilot Vietor am Frankfurter Flughafen.
Die inneren Wunden bleiben.
Doch bei aller Lebensfreude, die sie ausstrahlt, sind innere Wunden nicht zu übersehen. So steht in ihren Ausstellungsräumen in Frankfurt am Main eine engelsgleiche Gestalt mit einem Loch in der Brust, aber aufrechten Flügeln. Ein Falke befreit sich und die Friedenstaube entpuppt sich als Kämpferin. Mit der Kettensäge bearbeitet von Lutzau Thuja-Büsche, gestaltet aus Wurzeln Körper und aus Ästen Beine und schwärzt sie mit dem Flammenwerfer. Wenn es schlecht läuft, zerhackt sie den Lebensbaum.
Und warum immer wieder Vögel? Sie sind Symbol für Freiheit und Aufbruch. Und: „Wir hatten den ganzen Frachtraum voller exotischer Vögel. Sie sind in der Hitze ohne Wasser elendig zugrunde gegangen.“ Die 53-Jährige sagt: „Die Narben an der Seele bleiben“. So wird sie nie vergessen, „wie Männer ihren Frauen den letzten Schluck Wasser wegtranken“. Und: „Wenn neben mir ein Mensch erschossen wird, überschreitet das meine Grenzen.“
Unmenschlichkeit nicht verzeihbar.
Nach einem Interview, in dem sie jüngst den Hergang noch einmal genau schilderte, wurde sie krank. „Ich dachte, es bricht mir das Herz.“ Lange hat sie über die Schrecken mit niemandem gesprochen. Weder mit ihrem Mann Rüdeger von Lutzau, der damals die deutsche Anti-Terror-Truppe GSG 9 und Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski als Co-Pilot nach Mogadischu geflogen hatte. Noch mit Freunden, denen sie ohnehin nie davon erzählt habe. „Ich wollte sie nicht belasten. Und Anonymität ist etwas sehr Angenehmes.“ Auch in keinem Katalog für ihre Ausstellungen von New York bis Frankreich und von Schanghai bis in die Schweiz gibt es einen Hinweis auf ihre Geschichte.
Andrawes überlebte als Einzige der Terroristen.
Dass Souhaila Andrawes, die einzige der Flugzeugentführer, die die Erstürmung durch die GSG 9 überlebt hat, das Gericht um Nachsicht wegen ihrer kleinen Tochter bat und nur wenige Jahre in Haft war, hat für von Lutzau nur wenig mit Gerechtigkeit zu tun. „Sie selbst hätte ohne zu zucken ihre Ankündigung wahr gemacht und den dreijährigen Jungen im Flugzeug erschossen.“ Ob sie verzeihen kann? „Nein. Diese Unmenschlichkeit verzeihe ich nicht. Warum sollte man so gnadenlose Menschen auch begnadigen?“
Ihr Vorbild in der Politik ist ausgerechnet der Mann, der zwar mit der GSG 9 auch ihr Leben retten ließ, dafür aber nie RAF-Terroristen freigelassen hätte: Helmut Schmidt. „Er ist geradlinig“, sagt von Lutzau. Er habe einen Fehler gemacht, als er 1975 den entführten CDU- Politiker Peter Lorenz gegen Gefangene austauschen ließ. „Lorenz hat überlebt. Viele andere hat es das Leben gekostet.“
Von Kristina Dunz, dpa
Neueste Kommentare