„Wächter“ mit Flammenwerfer und Kettensäge
Gabriele von Lutzau: Stewardess auf der „Landshut“, heute Bildhauerin im Odenwald/ Skulptur für Idstein
Eine „Wächterin“ von Gabriele von Lutzau. Eine ähnliche Skulptur wird im Foyer des neuen Idsteiner Gesundheitszentrums platziert.Foto: privat
Vom 22.09.2007
Ihr Material: Holz. Ihre Werkzeuge: Kettensäge und Flammenwerfer. Für die neu erbaute Idsteiner Helios-Klinik wird die Bildhauerin Gabriele von Lutzau damit eine Skulptur erschaffen. Mit Mädchennamen hieß sie Gabi Dillmann. Und war Flugbegleiterin auf der „Landshut“.
Von
Birgitta Lamparth
Es ist schon die Stimme. Wenn sie Dinge sagt wie „Meine Devise ist: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“ oder „Ich lasse mich von diesen Leuten nicht einschränken“. Dann wird klar: Da spricht eine, die schon viel erlebt hat. Und überlebt hat – mit einer Courage, die man selten antrifft.
Denn „diese Leute“, denen Gabriele von Lutzau ausgeliefert war, waren Terroristen. Fünf Tage lang hielten sie im Oktober 1977 die Welt in Atem und die Passagiere der Lufthansa-Maschine „Landshut“ gefangen, 86 zumeist deutsche Urlauber und fünf Besatzungsmitglieder. Darunter Gabriele Dillmann. „Engel von Mogadischu“ haben die Passagiere sie getauft, weil sie Halt und Hoffnung bei der damals 23-jährigen Stewardess fanden.
Und Engeln gleichen auch die zentralen Figuren, die sie in ihrem neuen, ihrem zweiten Leben als Bildhauerin schafft. „Wächter“ nennt die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes die hoch aufragenden Holzskulpturen, von denen auch eine im Idsteiner Gesundheitszentrum ihren Platz finden soll. Ist das ein Thema, das aus dem Drama vor 30 Jahren herrührt? „Das hängt sicher auch mit dem Erlebten zusammen“, sagt sie. Wie vieles, was sich danach in ihrem Leben ereignete. Und zur Kunst führte.
Ihren Beruf hat sie nach Mogadischu nicht mehr ausgeübt. Obwohl sie „nicht Eva Herrmann“ sei, wollte sie nach der Geburt eines Kinder Zuhause bleiben. Und dann war da dieser Töpferkurs. „Ich habe aber nie einen Topf gemacht, sondern sofort eine Frau“, erinnert sie sich. Diesem ich-mach-das-auf-meine-Weise begegnet man oft, wenn man mit Gabriele von Lutzau spricht.
Obwohl sie in einer Familie aufwuchs, in der „Kunst als völlig unnütz“ aufgefasst wurde, habe es „sofort geknallt“, als sie schon während der Zeit als Flugbegleiterin von Kollegen auf eine Ausstellung mitgenommen wurde. Und auch, als sie dann später, Anfang der 80er, Kunst in Straßburg studiert, wird schnell klar, „dass ich mich langweilen würde, wenn ich Aquarellist wäre.“ Stattdessen wird sie Bildhauerin. Und findet in großen, wuchtigen Materialien und brachialem Werkzeug die ihr entsprechenden Voraussetzungen für erstaunlich filigrane, beeindruckende Arbeiten.
Ein schwerer Autounfall zertrümmert ihr das Handgelenk. Die Ärzte sagen: Das mit der Bildhauerei geht nicht mehr. Und erleben die innere Kraft einer Frau, die vor 30 Jahren mit ansehen musste, wie ihr Flugkapitän erschossen wurde. Und selbst unter Bedrohung ihres eigenen Lebens den Luftpiraten „so wütend angefunkelt hat“, dass er sich von ihr abwandte.
Dass eine solche Frau sich ein „geht nicht“ nicht sagen lässt, steht außer Frage. Also stellt sie ihre Technik um, arbeitet heute mit einem elektrischen 35er-Schwert. „Sehr effektiv, so aus der Hüfte raus wie John Wayne“, lacht die Bildhauerin, die in ihrem Atelier im Odenwald-Dörfchen „immer erst nach 15 Uhr arbeiten kann, das macht sonst zu viel Lärm.“ Die Art und Weise, wie sie ihrem Material zu Leibe rückt, habe schon „was mit Zähmen, mit Gewinnen zu tun“. Das hänge mit ihrem Charakter, möglicherweise auch mit dem Erlebten zusammen.
So wird auch jener Baum gezähmt, der jetzt noch im Idsteiner Wald steht. Vielleicht hat er jetzt schon ein Schleifchen um – so kennzeichnet Ute Samson geeignete Eichen und Buchen. Die ehemalige Idsteiner Stadtverordnete hat nicht nur den Förderkreis gegründet, der nun zum Bau des Gesundheitszentrum geführt hat. Sie hat auch den Kontakt zu Gabriele von Lutzau hergestellt. Durch einen Zufall, der keiner ist: Ute Samson, die heute als Heilpraktikerin arbeitet, war in den 70ern ebenfalls Stewardess, kannte Gabi Dillmann gut. „Ich bin danach auch auf der Landshut geflogen“, erzählt sie. Die Kolleginnen verloren sich aus den Augen.
Und 30 Jahre später begegnet sie auf der Suche nach einem Künstler, der sich für eine Arbeit in der Helios-Klinik eignen würde, den Werken von Gabriele von Lutzau. Ihre Wächterinnen haben sie von Anfang an überzeugt: „Sie haben zugleich etwas Erdverbundenes und die Öffnung nach oben. Das finde ich sehr schön für ein Krankenhaus, in dem Menschen heilwerden.“ Nun schaut sie sich nach Bäumen um, die einen Zwiesel – also zwei gleiche Hauptäste – gebildet haben, die nicht zu dünn sein dürfen. Am 1. November holt Gabriele von Lutzau den ausgewählten Baum dann ab.
Auch die Bildhauerin war von der Kombination Gesundheitszentrum und Wächter angetan. „Es gibt Künstler, die damit arbeiten, Ängste zu zeigen. Ich arbeite anders: Ich will den Ängsten Freiheit und Leichtigkeit entgegensetzen.“ Bis zum 11. September 2001 strahlten die Wächter in versöhnlichem, sanftmütigem Blau. „Dann war Schluss mit lustig“, sagt Gabriele von Lutzau. Und schuf nur noch Arbeiten, die in der eigenen Asche geschwärzt und mit Bioharz-Firnis fixiert werden.
Und als jetzt die Dokumentation über die „Landshut“-Entführung im Fernsehen gesendet wurde, da war für sie klar: „Heute muss ich sägen.“ Die Heilung, die von den Wächtern ausgeht, ist bei aller Reaktion auf die Schrecken, die das Leben bereit halten kann, geblieben. Auch für Gabriele von Lutzau selbst: „Wächter zu machen, tut mir gut.“ Sie kommuniziere mit dem Material. Und mit sich selbst. „Man muss lernen, sich zuzuhören“, sagt sie. Und eine eigene Stimme finden.
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